Die Messen in Zeiten von Corona

Die Messewirtschaft ist infiziert. Die Zahl der weltweit abgesagten Veranstaltungen steigt täglich. Teilweise überschlagen sich die Ereignisse auch aufgrund diffuser Vorschriften und Anweisungen der Behörden und der kollektiven Panikstimmung. Veranstalter, Aussteller und Besucher sind verunsichert und müssen teilweise sehr kurzfristig entscheiden. Manche Messen wurden in den letzten Tagen noch während des Aufbaus abgesagt. Andere entschieden langfristiger und verschoben oder stornierten ihre Messen frühzeitig. Oder sie versuchten durchzuziehen und es kam zu Geistermessen wie der embedded world (1). Egal wie entschieden wurde. Es gibt nur Verlierer. Jetzt ist klar – der Messefrühling 2020 fällt aus! Klar ist auch, der wirtschaftliche Schaden für die Messewirtschaft ist bereits enorm. Die FAMB beziffert ihn auf 1,063 Milliarden Euro für das laufende Jahr (2) – Tendenz steigend.

Der Karren steckt also richtig im Dreck. Die Frage ist jetzt, wie bringt man ihn wieder zum Laufen und welche Lehren können aus der Situation gezogen werden.

Den Kopf in den Sand zu stecken und auf Staatssubventionen zu hoffen ist der falsche Weg. Andere Krisen wie der Finanzcrash 2008 haben gezeigt, dass viele Unternehmen in dieser Situation zuerst gerne beim Messeauftritt sparten, dann feststellten, dass die Geschäfte dank des Aufschwungs auch ohne teure Messen laufen und zukünftig gar nicht mehr oder nur im beschränkteren Umfang wiederkamen.

Messe versus Digital?

Gleich zu Beginn der Krise, nach der Absage des Genfer Autosalons, stimmten die Medien den Abgesang der Messen ein (3). Im digitalen Zeitalter braucht man doch sowieso keine aufwendigen Veranstaltungen mehr. Noch erschreckender ist die Entwicklung in der Bay Area. Bekannterweise werden dort oft die Weichen für die Zukunft gestellt. Obwohl die USA zu diesem Zeitpunkt noch relativ gering von den Coranaauswirkungen betroffen waren, beschreibt ein erschreckend realistischer Artikel (4) die Entstehung einer Zwei-Klassen Gesellschaft im Silicon Valley. Wer es sich leisten kann, arbeitet von zu Hause, lässt sich die Dinge des täglichen Bedarfs liefern und igelt sich ein. Selbst auf den Besuch im Gym verzichtet der gesundheitsbewusste Digitalarbeiter. Das Fitnessbike Peleton mit Trainings­programm am Bildschirm ist aktuell der Renner in Palo Alto. Verlierer sind die, die nicht zu Hause bleiben können; Lieferboten, Fahrer und Verkäufer. Die „analogen Wasserträger“.

Droht der Messewirtschaft also nach Corona dasselbe Schicksal? Werden Videokonferenzen, Webinare und Onlineshops die Messen langfristig ersetzen? Hoffentlich nicht! Denn Messen sind nach wie vor das einzige Marketinginstrument, das alle fünf Sinne des Menschen ansprechen kann. Digitale Kommunikation ist nur zweidimensional. Langfristige Marken- und Kundenbindung erfordert immer noch den persönlichen Kontakt, das Anfassen des Produkts und oft auch das Riechen und Schmecken. Gerade in Zeiten von Facebook, Tinder und Onlineshopping gewinnt das „reale Erleben“, das Anfassen und händische Prüfen, das Ausprobieren wieder enorm an Bedeutung. Jede „digitale Customer Journey“ sollte also möglichst mit einem wirklichen Handschlag enden!

Dafür müssen sich Messen aber in Zukunft noch stärker im digitalen Raum bewegen und Ihren Kunden, Ausstellern und Besuchern das Beste aus beiden Welten bieten. Vor, auf und nach der Veranstaltung. Messeveranstalter sollten nicht nur Marktplatzbetreiber sein, sondern auch Vermittler, Berater und Partner des Kunden werden und so Mehrwerte für alle Seiten generieren.

Henne oder Ei?

Zurück zum Virus. Die aktuelle Situation ist für alle Beteiligten Neuland. Noch nie wurden in diesem Umfang und aufgrund einer drohenden Epidemie Messen abgesagt oder verschoben. Ist es nun höhere Gewalt obwohl es „nur“ Auflagen der Gesundheitsämter und keine direkten Veranstaltungsverbote wie in der Schweiz gab? Bestehen die Veranstalter auf die Standmiete? Muss der Aussteller den Messebauer zahlen, wenn dieser noch nicht aufgebaut hat? Bestehen Schadenersatzforderungen für entgangene Geschäfte? Wahrscheinlich wird der Messefrühling 2020 noch lange die Gerichte beschäftigen. Aber grundsätzlich steht fest, dass dabei jeder verliert. Prozessieren ist also keine Lösung und streiten fördert nicht die Kundenbindung. Vielmehr ist jetzt eine klare, ehrlich Kommunikation mit Kunden und Partnern oberstes Gebot. Es sollte versucht werden, langfristig gemeinsam die Krise zu bewältigen und so den Schaden zu begrenzen. Positionieren sich Messeveranstalter und Messebauer jetzt als Partner des Kunden, nicht nur als Dienstleister, können daraus nachhaltige und langfristige Geschäftsbeziehungen wachsen. Gemeinsam Lösungen zu finden, bei denen jeder bereit ist auf den anderen zuzugehen ist das Gebot der Stunde. Also aus der Not eine Tugend machen. Denn einen wirklichen Schuldigen gibt es nicht!

Und wer zahlt die Miete?

Bleibt trotzdem der wirtschaftliche Schaden. Und der wird wahrscheinlich recht große Kreise ziehen. Die staatlichen Messegesellschaften stehen noch halbwegs gut da, da Ihre kommunalen Anteilhaber sie nicht einfach fallenlassen können. Die Bilanz ist aber trotzdem verregnet. Private Messever­anstalter und auch Messebauer hingegen werden die teils enormen Umsatzverluste aber oft nur schwer ausgleichen können und es ist fraglich, ob alle Betroffenen die Krise überleben werden.

In Anbetracht der Zahlen des FAMAB Verbands ist der Ruf nach staatlicher Unterstützung durchaus gerechtfertigt. Ob es dann aber gleich ein 500 Millionen teures Mobilitätszentrum zur Unterstützung des neuen IAA Standorts (5) sein muss, ist fraglich. Vielmehr ist auch hier Sachverstand und Kreativität gefragt. Neben Messebeteiligungs-Zuschüssen für mittelständische Unternehmen auch im Inland wäre zum Beispiel eine finanzielle Förderung in Bereichen wie Nachhaltigkeit, Wissensvermittlung, Nachwuchsförderung und Kooperationsvermittlung wünschenswert. Warum nicht einen Messebauer mit Zuschüssen belohnen, wenn er seine Stände kreislaufwirtschaftsgerecht und klimaneutral gestaltet? Oder Konferenzteilnehmer und Fachbesuchern Prämien zur Aus- und Weiterbildung auf Messen anbieten. Auch politisch bietet die Krise hier eine Chance, das Medium Messe neu zu positionieren.

Krise als Chance?

Und vielleicht nutzt der ein oder andere die Gelegenheit, sein Portfolio den Marktverhältnissen anzupassen. Budgetkürzungen auf Seiten der Aussteller sind wie gesagt zu erwarten. Traditionelle Messebeteiligungen werden wohl jetzt erst recht in Frage gestellt werden. Deshalb sollte die Messebranche sich auch selbst auf den Prüfstand stellen. Will man weiter als „Immobilienmakler“ primär Quadratmeter verkaufen oder doch lieber neue Geschäftsmodelle zur effizienten Geschäftsanbahnung entwickeln? Masse (Fläche/Besucher) oder Klasse (Mehrwert) bieten? Oder eine gesunde Mischung von beiden finden? Alles keine neue Ideen, nur ist jetzt die Zeit gekommen, es anzupacken!

Sowohl Veranstalter als auch Dienstleister sollten mehr Wert darauflegen, ihren Kunden den wirklichen „Return on Investment“ einer Messeteilnahme zu vermitteln und auf versteckte Nebenkosten wie die Gebühren für den vorgezogenen Aufbau bei  verkürzten Aufbauzeiten verzichten Letztendlich will jeder auf einer Messe Geschäfte machen, ganz gleich ob lang- oder kurzfristig, ob durch Image- und Markenaufbau oder durch Geschäftsabschlüsse. Dazu müssen Messen messbar werden. Klingt banal, wurde aber in Praxis oft vernachlässigt. Das könnte der jetzt wachsende Druck ändern. Messbarkeit erfordert eine Ist-Analyse, ein Ziel und daraus folgend eine Umsetzungsstrategie. Das ist in erster Linie die Hausaufgabe des Ausstellers, aber sowohl Veranstalter als auch Dienstleister müssen ihm dafür die Instrumente und Argumente geben und ihn als Berater und Partner auf diesen Weg begleiten.

Das Virus ist da. Keiner weiß, ob er sich für den Einzelnen zur zweiten Spanischen Grippe entwickelt oder doch nur eine stärkere Erkältung sein wird. Die Zukunft wird trotzdem durch unser jetziges Handeln geprägt werden.

 

Quellen: